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Kommentar Urteil zu BreivikEin Anfang ist gemacht

Reinhard Wolff
Kommentar von Reinhard Wolff

Die Richter haben sich nicht vor ihrer Verantwortung gedrückt: Das Urteil gegen Breivik macht den Weg frei, um den Rassismus in Norwegens Mitte zu diskutieren.

Breivik wird weggesperrt, der Rassismus bleibt. Bild: reuters

D er Prozess hat uns nicht alle Antworten gegeben. Diese Einschätzung von Inga Bejer Engh, Staatsanwältin im Verfahren gegen den Terroristen Breivik – vor gut zwei Monaten, am letzten Verhandlungstag in Oslo festgestellt – gilt auch für das am Freitag vormittag verkündete Urteil.

Immer aber wird die Frage, ob die schlimmste Bluttat in Norwegen seit Ende des Zweiten Weltkriegs wirklich „nur“ auf das Konto eines psychisch kranken und damit strafrechtlich nicht verantwortlichen Menschen gehen sollte, vom Gericht eindeutig mit „Nein“ beantwortet.

Viele Kommentatoren hatten vorab gewarnt, dass sich das norwegische Rechtswesen blamieren könnte, wenn es wie vor mehr als 60 Jahren den Angeklagten für unzurechnungsfähig erklären würde – nicht nur der Nationaldichter Knut Hamsun, sondern auch die für die Judendeportationen und die Hinrichtung von Widerstandskämpfern verantwortliche norwegische Politiker waren damals kurzerhand für psychisch krank erklärt worden, womit sich das Gericht vor einer wirklichen Aufarbeitung der Nazi-Kollaboration drücken konnte.

Bild: taz
Reinhard Wolff

ist Korrespondent der taz.

Sich auch jetzt also hinter der Psychiatrie verstecken anstatt sich der Erkenntnis zu stellen, dass der Massenmörder in diesem Land, in dieser Zeit, in diesem Umfeld aufgewachsen ist? „Nein“, sagten jetzt die RichterInnen.

Ohne die Inspiration durch Islamhasser, ohne ein politisches Klima, in dem Fremdenfeindlichkeit stubenrein geworden ist, wäre ein Anders Breivik nicht zu dem geworden, was er nun ist. Im „Kindermörder“, wie einige Medien ihn seit seinem Massaker auf Utøya konsquent nennen, zeigen sich die äußersten Konsequenzen rassistischer Ideologie.

„Einer von uns“ ist Breivik, mahnte die Schriftstellerin Anne Holt kurz nach der Tat: „Made in Norway“. Und von einem Verrat an den Opfern des 22. Juli 2011 sprach der Bischof von Oslo, würde es in der norwegischen Gesellschaft nicht zu einer dauerhaften, durchgreifenden Änderung kommen. Ein Jahr ist seither vergangen, ohne dass sich viel geändert hätte. Es wird also höchste Zeit damit anzufangen. Das Urteil macht den Weg frei.

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Reinhard Wolff
Auslandskorrespondent Skandinavien und das Baltikum
Lebt in Schweden, schreibt seit 1985 für die taz.
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6 Kommentare

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  • DL
    Der Leid-Wolf

    Der Autor Wolff gat weder den Täter Breivik verstanden, noch die Tat oder die Hintergründe.

     

    1. In Oslo stand genau EIN Täter vor Gericht, wegen Massenmord.

     

    2. Breivik war und ist eine gespaltene Persönlichkeit, welche zwar zurechnungsfähig ist, aber einen Vorwand für den Gewaltausbruch gesucht hat.

     

    3. Die Gründe welche Breivik als Ausrede führt, werden nicht dadurch entwertet, dass eine gestörte Persönlichkeit diese nutzt. Gerade die Linksmedien sind doch immer so erpicht darauf, Mao für dessen Ideen aber nicht für die Millionen Tote zur Verantwortung zu ziehen.

     

    4. Der Versuch, die Opfer von Breivik billig zu instrumentalisieren und daraus politisches Kapital zu ziehen, ist widerwärtig.

  • H
    hope07

    Die norwegische Rechtssprechung im Falle B....... war einfach vorbildlich !

    21 Jahre sind recht ordentlich, anschließende Sicherheitsverwahrung noch besser. Doch bitte ich um Verzeihung , wenn ich dem B....... JEDE NACHT die in Todesangst verzerrten Gesichter seiner Opfer in seinen nächtlichen Träumen wünsche. Vielleicht ist das "Problem B......" dann in weniger als 21 Jahren erledigt. ZUM WOHLE ALLER.

  • S
    Synoptiker

    Wie schwer eine Aufarbeitung sein kann, haben wir Deutschen nach 1945 erfahren und Viele auch durchleiden müssen. Es dauerte ...!

    Sehr entscheidend kann die innere Verfasstheit der Justiz sein. Bei uns war sie lange vom Nazismus infiziert. Auch das Bildungsbürgertum trägt eine hohe Verantwortung.

    Wie es hierbei in Norwegen bestellt ist, entzieht sich meiner Kenntnis.

    Beginnen muss aber das ganze Land beim alltaglichen Fremdenhass und beim Ausgrenzen von Menschen.

    Generell müsste der europäische Nationalismus wissenschaftlich untersucht und aufgearbeitet werden. Gab es vorher nur den religiös begründeten Judenhass, so kam mit dem Aufkommen der Nationalstaaten auch die krankhafte nationalistische Überhöhung bzw. die krankhafte nordische Ideologie hinzu. Ich glaube der Norden Europas hat hier noch ein großes Stück Arbeit vor sich ! Es bedarf vor allem mutiger Politiker!

  • RD
    Richard Detzer

    Wird nur der Inhalt einer mißlungenen linken Tageszeitung wiedergegeben, oder wird Rassismus mit solchen Kommentaren wieder notwendig gemacht. Ich zweifle langsam daran, daß der Umbau der Taz in eine linke Bibelzeitung ein gelungenes Unternehmen sein kann.

  • N
    Normalo

    Hoffentlich haben die norwegischen Richter nicht so gedacht wie Herr Wolff. Denn wesentlich befangener kann man an einen Kriminalfall nicht herangehen. Und wer eine befangene Herangehensweise gutheißt, nur weil sie politisch das Richtige bewirken könnte, hat den Boden der Rechtsstaatlichkeit verlassen.

     

    Breivik ist EIN Mensch. Da saß nicht das ganze Norwegische Volk und auch nicht die Jurisprudenz der Nachkriegsjahre auf der Anklagebank. Der Mensch Breivik hat als Mensch Rechte, egal wie brutal er die Rechten Anderer missachtet hat. Deshalb hat man seinen Fall objektiv zu beurteilen und nicht im Lichte irgendweines Wunschergebnisses für die weitere Aufbereitung des Themas "Rechtsextremismus in Norwegen". Die Frage war: Wie gesund kann Einer sein, der solch eine unbeschreibliche Gräueltat begeht, der sie aus solchen verqueren Gründen begeht, der nachher noch stolz darauf ist und sich über seine Bestrafung freut?

     

    Die Richter in Oslo sind nun zu dem Ergebnis gekommen, dass so Einer sehr wohl immer noch ausreichend geistig gesund sein kann, um als schuldfähig zu gelten. Das mag verwundern, wenn man sich die Tat anschaut, die in ihrer hemmungslosen Monstrosität, aber auch in ihrer selbstzerstörerischen Soziopathie wenig Menschliches erblicken lässt. Aber es gibt sicher auch gute Argumente für deinen vollen Schuldspruch.

     

    Dass es sich vor Jahrzehnten mal ein paar Richter aus staatspolitischen Erwägungen mit solchen Entscheidungen entschieden zu leicht gemacht haben, gehört allerdings nicht zu diesen, sondern ist das Argument einer politisch motivierten Zweckjustiz. Ich dachte eigentlich, dass wir hierzulande wissen sollten, was wir von sowas zu halten haben, Herr Wolff.

  • KC
    Karl-Otto Chlorille

    Wären Autos verboten - was logischerweise aufgrund des Klimachaos spätestens seit steigender Temperaturen hätte passieren müssen - gäbe es weit weniger Tote.

    Aber was wundert einem schon in einer Welt, wo nur Autobomben zu Fahrverboten in Innenstädten führen.